M.: Gutachten [für Kf. August von Sachsen in Frankfurt/Main]. Dt. - [Wittenberg], 4. März 1558

Über eine Synode aller Fürsten und Stände Augsburgischer Konfession.

[1] M. anerkennt als Richter alle [evangelischen] Fürsten, Räte und Prediger. Nicht aus Furcht vor [Matthias Flacius] Illyricus und dessen Anhang rät M. von einer Synode ab, sondern weil er die daraus folgende Publizität um seine Person vermeiden möchte.

[2] Kirchengerichte sind notwendig. Deshalb gibt es in einigen Fürstentümern Konsistorien und Regionalsynoden. Privatpersonen dürfen keine Synoden einberufen. Dies tut auf Vorschlag des Konsistoriums die Obrigkeit, die als Glied der Gemeinde teilnimmt und die entscheidende Stimme hat. Nach dem Naturrecht ist jede Obrigkeit verpflichtet, Abgötterei zu verhindern.

[3] Überregionale Synoden sollen nur in Notfällen einberufen werden, nicht bei eindeutigen Irrtümern wie Karlstadts Ablehnung des römischen Rechts oder bei den Nürnberger [Osiandristen Leonhard Culmann und Johannes Vetter, ⇨ 7591f]. Sie können nur gelingen, wenn sich die Fürsten zuvor über Vorlagen, Verfahren und die Exekution der Beschlüsse geeinigt haben.

[4] Keiner Synode bedürfen die Streitfragen: Bilderverehrung, Exorzismus und Chorrock. Weder die Beibehaltung der Bilder ohne Aberglauben noch ihre Abschaffung sind zu verurteilen.

[5] Bei rechter Lehre von der Taufe können Exorzismus und stellvertretendes Bekenntnis geduldet werden.

[6] Diese leichten und die folgenden sieben schwierigen Streitfragen.

[7] Freier Wille. M. verwirft die stoische Notwendigkeit, die Leugnung der Kontingenz, die Passivität des Willens bei bösen Werken. Bei der Bekehrung jedoch wirkt der Heilige Geist, der Wille nimmt sie an, bleibt aber passiv. Der Trost des Wortes Gottes verhindert Verwirrung durch Gedanken über die Prädestination. Abweichend von »De servo arbitrio« [⇨ 445.1] vertritt Luther in anderen Schriften dieselbe Auffassung. [Nikolaus] Gallus in Regensburg und Anton [Otto] in Nordhausen behaupten zu Unrecht, daß aus dem freien Willen ein Verdienst des Menschen folge.

[8] Osianders Lehre.

[8.1] In den [evangelischen] Kirchen wird einmütig gelehrt, daß die Rechtfertigung des Menschen durch die Zurechnung des Gehorsams Christi allein aus Glauben erfolgt, und daß die angefangene Erneuerung, die Osiander Einwohnung Gottes nennt und die auch Gerechtigkeit genannt wird, nicht der Grund der Rechtfertigung ist.

[8.2] Uneins ist man in der Frage, ob Osiander die Imputation verworfen und die Rechtfertigung von der Erneuerung abhängig gemacht habe, oder ob er damit mißverstanden werde. Diese Entschuldigung Osianders [durch Brenz u. a.] kann hingenommen werden. Wenn aber [Johannes] Funck weiterhin bestreitet, daß die Rechtfertigung um des Gehorsams Christi willen erfolgt, soll er verurteilt werden.

[9] Abendmahl.

[9.1] Die durch Päpste und Mönche [Scholastiker] eingeführten Irrtümer der Wandlung, Transsubstantiation und Anbetung des Brotes mit der Frage, was die Maus frißt [⇨ 9015.2],

[9.2] werden gestützt durch [Johannes Hachenburg] in Erfurt, der neulich schrieb [⇨ 8494.3], heruntergefallene Abendmahlspartikel seien als Leib Christi anzubeten, durch den Artikel der Bremer Prädikanten [⇨ 8034.7], Brot und Wein seien wesentlich Leib und Blut Christi, durch [Joachim] Westphal, der in einem Buch, für das er viele Unterschriften sammelte [⇨ 8246.2; ⇨ 8325.2], die Ubiquität des Leibes Christi vertritt, was sogar die Papisten (Paris) verwerfen.

[9.3] Über die Elevation und Anbetung des Brotes muß gesprochen werden. Auch die Kirchen in der Schweiz und in Frankreich werden Gehör verlangen. M. befürchtet, daß eine solche Synode die Spaltung vertiefen würde. Nach einer Lehrform gefragt, wiederholt M., was er oft geschrieben und in Regensburg [1541] gegen [Johannes] Eck verteidigt hat [⇨ 8226.2]:

[9.4] Die erste Regel: Nichts ist Sakrament außerhalb des einsetzungsgemäßen Vollzugs. Eck wurde damals ärgerlich und krank, [Nikolaus] Granvella hielt ein Konzil für erforderlich, Luther war einverstanden. Lgf. [Philipp] von Hessen weiß noch von jenen Erörterungen.

[9.5] Die zweite Regel: Der Sohn Gottes ist gegenwärtig im geistlichen Amt und im Abendmahl mit dem Brot, das nicht nur ein äußeres Zeichen ist, wie Zwingli u. a. meinen.

[10] Die Elevation hat Luther in Wittenberg selbst abgeschafft [⇨ 8517.4], weil sie den Anschein eines Opfers erweckt. Die Papisten werden aber auf Meßopfer und Elevation nicht verzichten.

[11.1] Die These [Georg Maiors] von der Heilsnotwendigkeit guter Werke richtet sich gegen die Antinomisten. Gegen [Johannes Agricola], [Nikolaus von] Amsdorf und Gallus sagt die Confessio [Saxonica, ⇨ 6733], neuer Gehorsam sei nötig, ohne den Zusatz „zur Seligkeit“, nämlich als Folge, nicht als Verdienst.

[11.2] [Flacius] Illyricus und seinen Anhängern genügt dies nicht; sie wollen eine ausdrückliche Verwerfung. [Johannes] Wigand verfälschte Rm 10, [10]. Der Streit um den Zusatz ist anstößig, wie ein Engländer [NN] zu M. sagte.

[12] Adiaphora. Obwohl Feste, Lesungen, Gesänge und Kleidung beliebig sind, will [Flacius] Illyricus den Papisten keine Zugeständnisse machen und schmäht deswegen M. u. a. M. unterwirft sich hierin dem Urteil einer Synode. Er hat den Pastoren in Franken und [Sachsen] geraten, nicht wegen des Chorrocks die Gemeinden zu verlassen [⇨ 5413]. Doch [Flacius] hat Schriften gefälscht und äußert sich nie zur gesamten Lehre.

[13] Ehesachen. Kg. [Ferdinand] wünscht die Rückgabe der Ordination und Jurisdiktion an die Bischöfe. Da mit diesen keine Einigkeit zu erreichen ist, sollen die [evangelischen] Fürsten in ihren Ländern Ordination und Konsistorien selbst einrichten. Für Konsistorien und Ehesachen soll die Ordnung in Kursachsen maßgeblich sein.

[14.1] Auf einer Synode könnten noch andere Fragen aufgeworfen werden, nämlich über den Sohn Gottes und über Evangelium und Buße [⇨ 8080; 8137.5]. Unsinnige Lehren wie die der Wiedertäufer und Schwenckfelds sollen rasch verworfen werden.

[14.2] Es ist zu bedenken, ob angesichts der Gefahr von Spaltung eine Synode überhaupt gehalten werden soll. Wenn ja, sollen einhellige oder mehrheitliche Beschlüsse gefaßt werden.

[14.3] Die Mehrheitsbeschlüsse müssen schriftgemäß sein. Die Fürsten haben das letzte Wort.

[14.4] Segenswunsch.

Fundort:
CR 9, 462-478 Nr. 6471.
Datierung:
Abgeschickt mit 8545f.

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