M. an Andreas Osiander: Gutachten [für die Universität Königsberg]. - [Wittenberg, 25. Mai 1549]

Über den Begriff ‚Buße‛.

[1] M. tritt in der Kirche für gemeinsam erarbeitete Lehrformulierungen ein. Er will keine Streitigkeiten, sondern wirkt für die Eintracht. Bei seinen Lehrveranstaltungen hat er keine Neuerungen erfunden, sondern die Lehre der [evangelischen] Gemeinden, die den [altkirchlichen] Glaubensbekenntnissen entspricht und von Luther in Büchern verbreitet wurde, zusammengefaßt und erläutert. Im Bewußtsein der menschlichen Unzulänglichkeit unterwirft sich M. dem Urteil der [evangelischen] Gemeinden.

[2] Die Bußlehre behandelte M. ausführlich, weil sie für die Frömmigkeitspraxis wichtig ist und die Sentenzenkommentare Irrtümer verbreiten. Vor zehn Jahren stritt ein Bayer [Veit Amerbach, ⇨ 2315.1] über den Begriff ‚Buße‛. Oft ist ‚Reue‛ damit gemeint. Aber die kirchliche Tradition, an die sich M. gern anschließt, versteht darunter die gesamte Bekehrung, wovon die Reue ein Teil ist, was mit dem Sprachgebrauch der Propheten übereinstimmt. Wie M. in seinen Loci [⇨ 3419] schrieb [CR 21, 877; MSA 2/2, 541.36], streitet er nicht um den Begriff. Aber während die Scholastiker zur Sündenvergebung die (vollkommene) Reue für ausreichend erklären, behandelte M. auch den Glauben als Teil der Bekehrung.

[3] M. lehnt andere Formulierungen nicht ab, wenn nur in der Sache Übereinstimmung herrscht, und ist selbst sein strengster Kritiker.

[4] Die Wiedergeburt rechnet M. zur Buße, um mönchische Askese abzuwehren. Er läßt aber auch ihre Definition als Buße (= Reue), Glaube und neuer Gehorsam gelten.

[5] Lehrverderbnis und Neuerungen läßt er sich nicht nachsagen. Er wünscht Eintracht und eine Konferenz der Gelehrten.

Fundort:
CR 6, 108-110 Nr. 3441. ‒ MBW.T 19.
Datierung:
Datum: Abschriftlich als Beilage zu 5542 auf demselben Blatt (Berlin l. c.) überliefert, wozu auch enge inhaltliche und wörtliche Parallelen bestehen. Schon deshalb ist die von CR im Anschluß an Pezel (→MBW Bd. 1, S. 19f) vorgenommene Zuordnung zu MBW 4229f mit der (vermutlich daher erschlossenen) Adresse Universität Frankfurt/Oder wenig wahrscheinlich. Aber auch inhaltlich sind 4229 und 5543 verschieden: Dort geht es um das von Andreas Musculus geforderte Quatemberfasten als Bußübung, hier um die Buße als Reue und damit um die von Matthias Lauterwald im Anschluß an Osianders Disputation vom 5. 4. 1549 aufgeworfene Streitfrage (⇨ 5505). Schließlich wird das Jahr 1549 gestützt durch die Erinnerung an einen Bayern, der zehn Jahre zuvor in Wittenberg über den Begriff Buße stritt. Veit Amerbach aus Wemding geriet im November 1539 mit M. in einen Streit über M.s Thesen de concupiscentia (⇨ 2315.1). Zwar ging es dabei hauptsächlich um Fragen der aristotelischen Anthropologie (vgl. L. Fischer, Veit Trolmann, 1926, S. 68ff), aber M.s Disputation enthält auch eine These über die Buße (CR 12, 440 Nr. 14), und was Amerbach schließlich zum Bruch mit den Wittenbergern veranlaßte, war die reformatorische Rechtfertigungslehre (⇨ 2949). An die Disputation vor zehn Jahren mochte sich M. auch deshalb erinnern, weil sie zu einer Verstimmung Osianders führte (⇨ 2303; ⇨ 2328).
Nachtrag:
Fundorte: Osiander-GA 9 (1994), 84-87 mit 81 Nr. 368.

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