M. an Christoph Leib in Brandenburg[-Altstadt].
- [Wittenberg], 29. Juni [1557]
[1] Dr. Valentin [Trutiger], ein fähiger und frommer Arzt, bewirbt sich beim Rat von Brandenburg als Nachfolger des Ernst [Reuchlin].
[2] M. erläutert dem L. ein Gedicht des Gregor von Nazianz über das Verzeihen [MPG 37, 939], das er in seiner heutigen Vorlesung behandelte.
Fundort:
CR 9, 833f Nr. 6773.
Datierung:
Datum: Die einzige Abschrift bietet den 29. Juni 1559. An diesem Tag war M. in Bautzen (⇨ 8991f). Eine der beiden Zahlen ist also falsch. Daß beide verderbt sind, läßt sich zwar nicht ausschließen, hat aber keine besondere Wahrscheinlichkeit für sich. CR vermutet den 20. Juni, erwägt aber auch ein anderes Jahr. Letzteres ist vorzuziehen, weil die Jahreszahlen von M. meistens nicht angegeben werden und also sekundär sind, vor allem aber, weil M. am 14. Januar 1559 dieselben Verse des Nazianzenus dem L. mitteilt mit der Bemerkung, er zitiere sie oft (8831.1), wogegen er in 8262 annimmt, sie könnten L. noch unbekannt sein. Am 13. März 1558 schickte er ihm die Nazianzenus-Rede (8552), worin diese Verse aber nicht erwähnt werden. Wir finden sie bei M. erstmals in MBW 5848 vom 7. Juli 1550. In dieser Zeit schrieb M. seinen Kommentar zum Ersten Korintherbrief (CR 15, 1053-1220), worin sie ebenfalls zitiert werden (CR 15, 1141f). Die nächste Stelle ist MBW 6636.4 vom 13. November 1552, dem 22. Sonntag nach Trinitatis, dessen Evangelium Mt 18, 21-35 M. daran erinnerte. In seiner Auslegung dieser Perikope hat er sie zitiert (CR 25, 730), ebenso in der von Luk 6, 36 zum 4. Sonntag nach Trinitatis (CR 25, 119), ferner in MBW 7408 vom 12. Februar 1555 und in 8513.4 vom 1. Februar 1558. Aus dieser breiten Streuung läßt sich kein Indiz für die Datierung gewinnen. Einen terminus post quem bietet die Adresse, wenn sie original zu diesem Brief gehört: L. wird als Pfarrer von Brandenburg bezeichnet, was er im Frühjahr 1553 wurde (⇨ 6767; ⇨ 6790). In noch spätere Zeit weist die Empfehlung Trutigers, der als erfahrener Arzt bezeichnet wird. Im Sommer 1555 war er Dekan der Wittenberger philosophischen Fakultät und suchte danach eine Stelle in Joachimsthal, die er anscheinend nicht erhalten hat (⇨ 7579.1; ⇨ 7605). In Brandenburg dürfte er sich danach beworben haben. 1556 ist wegen 7865 und 7877 unwahrscheinlich. Somit bleiben noch die Jahre 1557 und 1558. Einige Gewißheit bringt M.s Bemerkung, er habe die Verse heute in der Vorlesung behandelt. Über die Vorlesungen M.s berichtete der Student Caesar Pflug am 16. Juli 1557 (Pollet, Pflug-BW 4, 299 Nr. 742). M. las montags Dialektik, dienstags über Cicero, De officiis, mittwochs und samstags Geschichte, donnerstags über den Kolosserbrief, freitags über das Nicänum. Am ehesten bot die Ethikvorlesung Anlaß zu einem Exkurs über das Verzeihen, der freilich weder in der Druckfassung (CR 16, 529-614) noch in der Nachschrift eines Studenten (vgl. W. Meyer, Melanchthon's Vorlesung über Cicero's Officia: NGWG.PH 1894, 146-181 [H 2471]) zu finden ist. Der 29. Juni fiel in den in Betracht kommenden Jahren nur 1557 auf einen Dienstag. 1558 fiel er auf einen Mittwoch. Dann hätte M. innerhalb der Vorlesung über Weltgeschichte das Thema „Verzeihen“ behandelt, was weniger wahrscheinlich ist. Die Datierung von 8262 ist auch für die Biographie des Ernst Reuchlin von Bedeutung, der nicht schon 1549 Stadtarzt in Lübeck wurde, wie WAB 11, 130 Anm. 1 angegeben wird, sondern etwa 20 Jahre später. Wohl bald nach seiner Wittenberger Magisterpromotion am 3. August 1546 wurde er Stadtarzt in Brandenburg, wo er von Luciae (13. Dezember) 1550 bis 1551 als Gehaltsempfänger bezeugt ist und laut 8262 noch im Juni 1557 amtiert. Dann ging er in der gleichen Funktion nach Stendal, wo er 1565, 1566 und wohl auch 1568 Publikationen unterzeichnet. Am 11. 11. 1563 wurde er in Wittenberg zum Dr. med. promoviert. 1570 und zum letzten Mal am 14. 8. 1577 zeichnet er aus Lübeck. Diese Hinweise verdanken wir Herrn Dr. med. Hans-Theodor Koch in Merseburg.