M. [an Johannes Brenz in Ehningen]. - Wittenberg, 3. Juni 1552

[1.1] Wenn die juridische Bedeutung des Wortes [Rechtfertigung] so sehr betont wird, soll man „Versöhnung“ oder „Anrechnung der Gerechtigkeit“ sagen. M. streitet nicht um Worte, sondern um die Sache, nämlich: weshalb der Mensch Gott gefallen kann.

[1.2] Der Unterschied zwischen Gerechtigkeit der Person und einwohnender Gerechtigkeit ist — gegen B.s Einwand — in der Schrift begründet: [Hiob 4, 17; 25, 4] wird die Rechtfertigung aufgrund einer Qualität negiert.

[1.3] Für B. bedeutet ‚Rechtfertigung‛ das Gerechtmachen, für M. die Aufhebung der Schuld unangesehen der Qualität des Schuldigen. Diese ändert sich danach, was aber nicht der Grund des Freispruchs ist und von M. ‚Heiligung‛ genannt wird. Auch dann fragt das Herz, wie die Person Gott gefällt. Dieses Gefallen ist für Luther das Gerechtsein. ‚Gerecht‛ ist als Relation verstanden: Gott gefällig. Wenn B. diese Relation „Versöhnung“ nennen will, so ist dies eine andere Frage.

[2] Unsere Gerechtigkeit ist in diesem und im ewigen Leben dieselbe. Doch gibt es dort keine Sündenvergebung.

[3.1] In seiner Antwort an Osiander [6294] vermeidet M. das Wort ‚imputatio‛, weil Osiander daraus eine Eingießung macht. M. verwendet Relationsbegriffe. Gnade, Zurechnung der Gerechtigkeit, Versöhnung, Vergebung der Sünden bedeuten alle: angenehm sein und gefallen um des Sohnes willen.

[3.2] M. sagte „göttliche Gegenwart“ [6294.1.1 = MSA 6, 454.27f], weil er Streit vermeiden wollte über die Personen [der Trinität], die Osiander durcheinanderbringt, insbesondere nichts über den Heiligen Geist sagt. Dennoch wird man darüber sprechen müssen [⇨ 6526.1].

[3.3] Während M. „um Christi willen angenehm sein“ sagt, legt Flacius Wert auf die Formulierung, daß uns Christi Gerechtigkeit zugerechnet wird, was auch M. nicht ablehnt.

[4] Die Gerechtigkeit Christi ist sein Gehorsam, der als Verdienst den Zorn der wesentlichen Gerechtigkeit Gottes besänftigt.

[5] Gerechtigkeit der Person und einwohnende Gerechtigkeit müssen unterschieden werden (Hiob 4, 17; 9, 2). Wenn B. die Gerechtigkeit der Person ‚Versöhnung‛ nennt, ist diese zu erklären als Annahme der Person ungeachtet der Sündenreste.

Fundort:
Abschrift (ohne Anfang und Ende des Briefs): Berlin SAPK, ehemals SA Königsberg, HBA, J 2, Kasten 981; Inhaltsangabe: M. Stupperich, Osiander in Preußen 1549-1552 (1973), 270f. ‒ MBW.T 22 (erstmals publiziert).
Datierung:
Adressat aus dem Aktenkontext. Am 6. Juli kehrte ein an B. gesandter Bote nach Wittenberg zurück (⇨ 6490.2).
Nachtrag:
Regest zu präzisieren: § 1.2: [Ps 143 (142 Vg.), 2] (nicht: [Hiob 4, 17; 25, 4]) wird die Rechtfertigung aufgrund einer Qualität negiert; § 5: ... müssen unterschieden werden ([Ps 143 (142 Vg.), 2]; Hiob [9, 2]) (nicht: [Hiob 4, 17; 9, 2]).

Normdaten