Johannes von Glauburg an M. in Wittenberg. - [Frankfurt/Main, nach 16. März 1559]

[1] In der [französischen Flüchtlings]gemeinde wurde die einige Monate ausgesetze Abendmahlsfeier im Februar wieder aufgenommen. Der größte Teil der Gemeinde hat mit dem Streit nichts zu tun. Sowohl die Kläger, nämlich der Geistliche Guillaume Houbraque und seine Anhänger, als auch François [Perrucel] Riverius und andere erklärten feierlich vor Gott und der mit Zustimmung der Gemeinde eingesetzten Ratskommission [G., Daniel zum Jungen, Konrad Humbracht] und Johannes von Glauburg d. J., sie seien gemäß Matth. 5, 23f frei von Haß, und François bekannte sich mangelnder Zurückhaltung schuldig und erwartet den Urteilsspruch darüber.

[2] Fragen mit M.s Antwort.

[2.1] Ob bei diesem Zustand der Gemeinde die Abendmahlsfeier hätte unterbleiben sollen, obwohl viele am Streit Unbeteiligte sie wünschten.

[2.2] Ob die Streitenden trotz anhängendem Gerichtsverfahren zum Abendmahl gehen dürfen, wenn ihre Seelenlage dem entspricht. M.: Ein Gerichtsverfahren ist kein Hindernis für die Frommen.

[2.3] Ob Unbeteiligte der Kommunion fernbleiben sollen, wenn in Streit Verwickelte kommunizieren. M.: Nein.

[2.4] Ob die Teilnahme von offenkundig Bösen auch die guten Abendmahlsteilnehmer schädigt. M.: Offenkundig Böse dürfen nicht zugelassen werden.

Fundort:
K. Bauer: ZKG 40 (1922), 161f [H 3223].
Datierung:
Datum: Bauer l. c. S. 164-167 hält für sicher, daß Perrucel die verschiedenen Gutachten auswärtiger Theologen über seine Auslegung von Matth. 5, 23f, die in dem von Bauer ausgewerteten Aktenband (der 1944 verbrannt ist) gesammelt waren, erst dann dem Ratsherrn G. vorlegte, als auch das letzte, das der Zürcher vom 20. März 1560, in Frankfurt eingetroffen war. Erst dann habe G. sich an M. gewandt. Dessen Antwort wäre dann in den allerletzten Tagen seines Lebens verfaßt worden. Diese Annahme ist nicht zwingend und steht in Widerspruch zu der Tatsache, daß in dem an M. geschickten Bericht über die Differenzen zwischen Houbraque und Perrucel (8891.1) mit keiner Silbe angedeutet ist, daß Houbraque nicht mehr in Frankfurt sei. Dies war spätestens seit August 1559 der Fall; seit September 1559 war er in Straßburg; vgl. Ph. Denis, Les églises d'étrangers en pays rhénans (1984), 122ff. 370. 648f. Perrucel kam 1557 von Wesel (⇨ 7992) nach Frankfurt (Denis 354ff). Differenzen zwischen den beiden Predigern und ihren Anhängern entstanden im Lauf des Jahres 1558; am 29. Dezember wandte sich Houbraque deswegen erstmals an G. (Denis 362). Die Feier des Abendmahls hatte man wegen dieser Differenzen unterlassen. Laut 8891.1 wurden sie im Februar wieder aufgenommen, was der Februar des Jahres 1559 ist, ein weiteres Indiz für die Abfassung von 8891 in diesem Jahr. Am 9. März und am 11. April befaßte sich der Rat mit der Angelegenheit; damals waren vier von Houbraque formulierte Fragen und das Problem vom Matth. 5, 23f Gegenstand allgemeiner Erörterung (Denis 367-369). G.s Anfrage an M. ist eigentlich nur in diesem Zusammenhang sinnvoll. Wahrscheinlich ist sie mit 8890 abgegangen und gleichzeitig mit 8915 am 6. April beantwortet worden.

Normdaten
Personen:

Glauburg, Johannes d. J. von: http://d-nb.info/gnd/119687178

Glauburg, Johannes von: http://d-nb.info/gnd/13921111X

Houbraque, Guillaume: http://d-nb.info/gnd/139206329

Humbracht, Konrad: http://d-nb.info/gnd/139377026

Melanchthon: http://d-nb.info/gnd/118580485

Perrucel, François: http://d-nb.info/gnd/1089922566