M.: Gutachten [für Kf. Johann von Sachsen]. - [Wittenberg, Mitte 1528]

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[0] Ordnung für die Mädchenschule in Weida.

[1] Um einen Anfang zu ermöglichen, sollten Weidaer Bürger ihre Töchter zur Ausbildung ins Kloster [der Dominikanerinnen] schicken, den benachbarten Adligen zum Vorbild.

[2] Die Kinder, die noch nicht lesen können, sollen morgens zuerst beten, das Vaterunser, den Glauben, die Zehn Gebote und einige Psalmen. Kirchgang, danach Abfragen der Predigt. Nachmittags geistliche Lieder. Abfragen des Morgenunterrichts, Lesen aus deutschen Kinderbüchern, aus dem Vaterunser und aus dem Neuen Testament.

[3] Schreibunterricht. Keine Überlastung. Nur zwei Lektionen, eine vor- und eine nachmittags. Spinnen und dergleichen im Kloster oder bei den Eltern.

[4] Diejenigen, die lesen können, sollen morgens gemeinsam mit allen beten. Danach Katechismusunterricht anhand der Fragen des [Johannes Agricola, Hundert und Dreissig gemeyner Fragestücke ... Wittenberg, Georg Rhau, 1528] durch die Schulmeisterin. Am Nachmittag gemeinsames Gebet mit den anderen. Danach Lektüre eines Evangelisten wie Matthäus oder eines leichten Apostelbriefes wie 1. Joh. Die Nonnenklöster sind einst zweifellos zu solcher Übung in der Schrift gestiftet worden. Statt dessen hat der Satan die armen Leute auf unnütze Fabeln, törichte Gebete und Rosenkränze gelenkt. In Cronschwitz [⇨ 567.9] hörte M. von alten Personen, daß sie kein Blatt der Schrift gelesen oder gehört hätten. Deshalb hätten sie auch die jetzige Lehre so hart verfolgt.

[5] Fleißige Schreibübungen, denn ohne Schreiben können sie nicht richtig lesen. Kirchgang morgens und abends.

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Fundort:
Abschrift: Hamburg SUB, Sup. ep. (2o) 92, f. 146r-147r. Am Rand die Quelle angegeben: in 5 tomo I[ohannis] S[tolsii] f. 246.b; vgl. WAB 14, 273 mit 263 und 179. ‒ MBW.T 3.
Datierung:
Datum: Überliefert ist das Gutachten zusammen mit dem undatierten Begleitschreiben des [Kf.] Johann [von Sachsen an den Rat der Stadt Weida]: Hamburg ebd., f. 147r. Es muß also in dessen Regierungszeit 1525-1532 verfaßt sein. Der erwähnte Katechismus des Johannes Agricola für die Eislebener Mädchenschule erschien laut Impressum 1528, möglicherweise schon 1527, denn die im Druck auf den 18. November 1528 datierte Vorrede muß um ein Jahr zurückdatiert werden, weil der Katechismus am 10. 2. 1528 im Druck vorliegt; vgl. F. Cohrs, Die evangelischen Katechismusversuche 2 (1900, Repr. 1, 1978), 261 Anm. 2; Bibliographie ebd. 266-268. In Cronschwitz visitierte M. am 14. Juli 1527 (⇨ 567.9). Es könnte also im Gefolge der Visitation des Jahres 1527, die am 9. Juli in Weida begann (⇨ 562), dort der Plan zur Gründung einer Mädchenschule entstanden sein. Am 15. März 1529 existierte sie bereits, wie aus dem von Ernst Koch aufgefundenen Protokoll der zweiten Visitation Weidas hervorgeht. Darin wird unter diesem Datum die Besoldung der Schulmeisterin geregelt, vgl. Weimar HSA, Reg. Ji, Nr. 2, f. 219r-v. Sinnvoll ist M.s Gutachten nur vor Gründung der Schule. Da es gemäß dem Begleitschreiben von etlichen Gelehrten zu Wittenberg erbeten wurde, scheidet das Jahr 1527 aus. Denn M. war für den Rest des Jahres und wohl bis in den April 1528 hinein von Wittenberg abwesend auf Visitationsreisen, oder er hielt sich mit der gesamten Universität in Jena auf, wohin diese wegen einer Seuche ausgewichen war. In Wittenberg befand sich M. vom 6. Mai (⇨ 674) bis 15. Oktober 1528 (⇨ 717) und vom 20. Januar (⇨ 747) bis 15. Februar 1529 (⇨ 752). Eine kurze Zeitspanne vor dem 24. April 1528, an dem M. mit Luther nach Weimar abreiste (G. Buchwald, Luther-Kalendarium, 1929, 58, erschlossen), kommt wohl nicht in Betracht. Januar/Februar 1529 sind unwahrscheinlich, weil Luthers Kleiner Katechismus am 16. Mai 1529 vorlag (J. M. Reu, D. Martin Luthers Kleiner Katechismus, 1929, 27 mit 23), M. von dem bevorstehenden Erscheinen wußte und wohl diesen statt Agricolas Katechismus empfohlen hätte. Die aus M.s geringfügig bearbeitetem Text hervorgegangenen Mädchenschulordnungen innerhalb der Visitationsordnungen für Meißen und das Vogtland von 1533 und für das Gebiet des Stiftes Wurzen von 1542 tun dies (Sehling 1, 193f; 2, 98). 694a ist somit zwischen 6. Mai und 15. Oktober, also Mitte 1528 einzuordnen. Wir folgen mit dieser Datierung Ernst Koch, der die Datierungskriterien zusammengestellt und auf die weitere Verwendung von M.s Text hingewiesen hat. Er wird das Gutachten zusammen mit dem Begleitschreiben in der Zs. des Vereins für Thüringische Geschichte 52 (1998) edieren.

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