M. an den Leser. Vorrede zu: Martin Luther, Tomus secundus omnium operum. Wittenberg, Hans Lufft, 1546. - Wittenberg, 1. Juni 1546

[1] Da die von Luther in Aussicht gestellte Autobiographie durch seinen Tod vereitelt wurde, berichtet M. treulich, was er von ihm gehört oder selbst gesehen hat.

[2] Luthers Familie, Vater Hans in Eisleben und Mansfeld, Mutter Margarete. Diese und sein Bruder Jakob über sein Geburtsdatum.

[3] Erziehung. Der Vater des Georg Aemilius [Nikolaus Öhmler] trug ihn zur Schule. Mit Hans Reinicke war er in Magdeburg; danach ging er in Eisenach zur Schule.

[4] Universität Erfurt; unzulängliche Dialektik, private Lektüre der lateinischen Klassiker. Erfolge, Magistergrad, Jurisprudenz. Eintritt ins Augustinerkloster Erfurt; die mönchische Zucht auch später noch zu bemerken.

[5] Das Erschrecken vor dem Zorne Gottes als Anlaß seines Klostereintritts; sein Theologie- und Bibelstudium. Trost von einem alten Mönch [Johannes Greffenstein], der u. a. Bernhard zitierte.

[6] Allmähliche Erkenntnis der Glaubensgerechtigkeit; Augustin-Lektüre. Genaue Kenntnis von Gabriel [Biel] und Petrus von Ailly, auch Occam und Gerson, weniger Thomas [von Aquin] und [Duns] Scotus.

[7] Versetzung nach Wittenberg durch [Johannes] von Staupitz. Lob des Martin Mellerstadt.

[8] Romreise. Doktorat auf Kosten des Kf. Friedrich von Sachsen und auf Staupitz' Befehl.

[9] Erhellende Vorlesungen über den Römerbrief und die Psalmen: Gesetz und Evangelium unterschieden, Verdienstgedanke abgelehnt, Christus und die Glaubensgerechtigkeit herausgestellt. Seine Lehre und sein Lebenswandel verliehen ihm Autorität auch bei denen, die später die durch die Änderung der Riten verursachte [Kirchen]spaltung bedauerten.

[10] Zunächst aber änderte Luther nichts, sondern hielt auf strenge Zucht und erhellte die Lehre unter allgemeiner Zustimmung. Wirkung des Erasmus. Griechisch und Hebräisch für das Quellenstudium.

[11] Ablaßhandel des [Johannes] Tetzel und Thesenanschlag mit Folgen.

[12] Luther dachte nicht an die späteren Änderungen, geschweige stand der [kursächsische] Hof hinter ihm, wie Hz. [Heinrich] von Braunschweig[-Wolfenbüttel] behauptet. Die Haltung des Kf. Friedrich [von Sachsen]; sein Gespräch mit Erasmus von Rotterdam in Köln. Cajetan hätte ein beiderseitiges Schweigen herbeiführen können.

[13] Es folgten Kämpfe um göttliche und menschliche Gesetze, Mißbräuche beim Abendmahl, Mönchsgelübde mit Klosteraustritten. Die Frage nach der Gewalt des römischen Bischofs warf Eck auf, um Papst und Könige gegen Luther aufzubringen.

[14] An den altkirchlichen Glaubensbekenntnissen hielt er fest. Welche menschlichen Traditionen er ändern wollte, begründete er in seinen Schriften. Was er davon beibehielt, sowie die Lehre und der Brauch der Sakramente, sind ersichtlich aus dem Bekenntnis, das Kf. Johann von Sachsen und Lgf. Philipp von Hessen auf dem Augsburger Reichstag 1530 dem Kaiser übergaben, und aus der Praxis der Gemeinde Wittenberg. M. betont, daß Luther nicht nur Irrtümer beseitigt, sondern die ganze Kirchenlehre und die reinen Bräuche vorbildlich hergestellt hat.

[15] Wer zuerst das vollständige Abendmahl gereicht, die Privatmessen abgeschafft, die Klöster verlassen hat, berichtet M. nicht [⇨ 173ff]. Vor dem Wormser Reichstag 1521 hatte Luther wenig darüber gehandelt. Die Riten haben Karlstadt u. a. während seiner Abwesenheit [auf der Wartburg] geändert, z. T. tumultuarisch. Nach seiner Rückkehr stellte Luther klar, was er davon billigte.

[16] M. begründet die Notwendigkeit von Änderungen in der Kirche (Epikureer; Wahrheitszeugen, u. a. [Johannes Greffenstein]).

[17] Luther kämpfte trotz seiner zornigen Veranlagung nur mit dem Wort, denn er unterschied die Ämter des Lehrers der Kirche und der Obrigkeit, verurteilte demnach alle Aufrührer wie Müntzer und die Wiedertäufer, aber auch die Päpste, die behaupten, Petrus habe weltliche Macht empfangen, und er mahnte alle, Gott und dem Kaiser das Gebotene zu geben.

[18] Dank an Gott, der durch Luther das Licht des Evangeliums wiedergebracht hat. Gegen die ‚Epikureer‛ und Heuchler stellt M. fest, daß in den [reformatorischen] Gemeinden die Lehre der ‚katholischen‛ Kirche Gottes erklingt, und daß ungeachtet mancher Ungenauigkeiten und Radikalismen insgesamt Übereinstimmung herrscht.

[19] M. erblickt vier große Veränderungen der Lehre seit der Reinheit der Apostel: das origenistische Zeitalter, wo trotz einiger Rechtgläubiger wie Methodios [von Olympos] das Evangelium zu Philosophie wurde, die Glaubensgerechtigkeit und der Wortsinn verlorengingen, was zum Irrtum des Pelagius führte;

[20] Augustin, der über Vergebung, Glaubensgerechtigkeit, Sakramente, Adiaphora wie die [Reformatoren] lehrt und von deren Gegnern zu Unrecht in Anspruch genommen wird, über Gelübde aber schon den Grund zum Aberglauben legte;

[21] die Zeit des Augustinismus von Prosper, Maximus [von Turin], Hugo [von St. Victor] bis Bernhard [von Clairvaux], während der allerdings die Macht der Bischöfe wuchs und die Kirche verweltlichte;

[22] dagegen traten die Dominikaner und Franziskaner auf, die aber auch den Aberglauben mehrten und ihre Absicht, die ganz auf die Jurisprudenz beschränkten Studien zur Theologie zurückzubringen, so ausführten, daß die Aristoteliker wie Albertus [Magnus] die Kirchenlehre zur Philosophie machten und Thomas, Scotus u. a. die evangelischen Quellen völlig vergifteten, weshalb einsichtige Theologen immer eine reinere Lehre ersehnten.

[23] Die [Reformation] war nötig wegen deren Sophismen und schauerlichen Aberglaubens (opus operatum, Heiligenkult u. a.).

[24] Dank an Gott, der durch Luther die evangelischen Quellen reinigte, mit Gebetsworten, wie sie Luther täglich sprach und mit denen er im 63. Lebensjahr verschied.

[25] Würdigung seiner Bücher: Lehrschriften, Streitschriften, Auslegungen, Bibelübersetzung.

[26] Seine Absicht, durch sie zu den Quellen zu führen, als Vorbild zur Erfüllung des Lebenszwecks Ehre Gottes und Nutzen der Kirche.

Fundort:
CR 6, 155-170 Nr. 3478 mit 20, 430-435; vgl. auch H *782; 1594; *1595; *1761; K. E. Förstemann, M. Philippi Melanthonis Historia de vita et actis D. Martini Lutheri (1846); auch in: Neue Mittheilungen aus dem Gebiete historisch-antiquarischer Forschungen 8/1 (1846), 121-142 [H *1796]; deutsche Übersetzung zuletzt bei M. Hürlimann, Martin Luther dargestellt von seinen Freunden und Zeitgenossen (1933), 44-64 [H 3399]. ‒ MBW.T 15.

Normdaten
Personen:

Aemilius, Georg: http://d-nb.info/gnd/131420127

Albertus Magnus: http://d-nb.info/gnd/118637649

Augustin: http://d-nb.info/gnd/118505114

Bernhard von Clairvaux: http://d-nb.info/gnd/118509810

Biel, Gabriel: http://d-nb.info/gnd/118510703

Cajetan: http://d-nb.info/gnd/118518348

Duns Scotus, Johannes: http://d-nb.info/gnd/118528165

Eck, Johannes: http://d-nb.info/gnd/11852870X

Erasmus von Rotterdam: http://d-nb.info/gnd/118530666

Friedrich von Sachsen: http://d-nb.info/gnd/11853579X

Greffenstein, Johannes: http://d-nb.info/gnd/118739085

Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel: http://d-nb.info/gnd/119024918

Hugo von St. Victor: http://d-nb.info/gnd/118554611

Johann von Sachsen: http://d-nb.info/gnd/100503225

Karl V., Kaiser: http://d-nb.info/gnd/118560093

Karlstadt, Andreas: http://d-nb.info/gnd/118560239

Lufft, Hans: http://d-nb.info/gnd/117313785

Luther, Martin: http://d-nb.info/gnd/118575449

Maximus von Turin: http://d-nb.info/gnd/118934996

Melanchthon: http://d-nb.info/gnd/118580485

Mellerstadt, Martin: http://d-nb.info/gnd/104124172

Methodios von Olympos: http://d-nb.info/gnd/118581422

Müntzer, Thomas: http://d-nb.info/gnd/118585533

Occam: http://d-nb.info/gnd/118633015

Öhmler, Nikolaus: http://d-nb.info/gnd/1142828034

Pelagius: http://d-nb.info/gnd/118592432

Petrus: http://d-nb.info/gnd/118593323

Petrus von Ailly: http://d-nb.info/gnd/118644157

Philipp von Hessen: http://d-nb.info/gnd/11859382X

Reinicke, Hans: http://d-nb.info/gnd/1143746112

Staupitz, Johannes von: http://d-nb.info/gnd/118752898

Tetzel, Johannes: http://d-nb.info/gnd/118801708

Thomas von Aquin: http://d-nb.info/gnd/118622110