M. an Martin Bucer [in Straßburg]. - [Wittenberg, Mitte Dezember 1547]

Ehemals 4995.

[1] Verfassung und Predigt in den [kursächsischen] Gemeinden sind dieselben wie vor dem Krieg. Doch die niedersächsischen Städte und die Hzz. [Barnim XI. und Philipp I.] von Pommern haben noch keinen Frieden. Wenn sie angegriffen werden, drohen [den Wittenbergern] neue Exile. M. trägt eine Widerlegung der Rechtfertigungslehre des Trienter Konzils vor [⇨ 5062]. Er tut dies ohne Polemik und äußert auch Zustimmung. Das Konzil lehrt richtig über die Willensfreiheit, nicht jedoch über Gesetzeserfüllung, Zweifel, Zurechnung der Gerechtigkeit. Wenn der Hof [des Kf. Moritz] diese Tätigkeit M.s nicht duldet, will M. gehen. Wenn er umkommt, tröstet ihn die Lehre Christi.

[2] In Siebenbürgen, wo zuerst in Kronstadt die Kirche reformiert und danach [!] durch [Johannes] Honterus das Schulwesen aufgebaut wurde, erkauft man vom Sultan den Frieden, und so blühen die Studien. In den Kirchen wird recht gelehrt, und es wurde ein [evangelischer] Bischof gewählt. Den Kg. Ferdinand, der durch Gesandte seine Absetzung verlangte, forderten die Städte auf, erst die von Türken beherrschten Diözesen Gran, Fünfkirchen, Alba Julia und Kolocsa zu befreien.

Fundort:
Unvollständige Abschrift: Zürich ZB, Ms. F 80, f. 155r (auf einem eigenhändigen Brief Bucers an [Oswald Myconius] von 1548); Zitate in Myc. an Heinrich Bullinger, 20. 1. 1548: O. Netoliczka: ARG 31 (1934), 246-251 [H 3407]. ‒ MBW.T 17.
Datierung:
Datum: Ähnliches berichtet M. schon am 5. Dezember (⇨ 4980), und der andere von Myc. zitierte Brief aus Augsburg vom 27. scheint nach M.s Brief in Basel eingetroffen zu sein. Also ist 4988a gleichzeitig mit 4999a abgegangen. § 2 gibt die Ereignisse nicht richtig wieder. Erst am 6. 2. 1553 wurde der erste Superintendent der evangelischen Gemeinden in Siebenbürgen gewählt; es war der seit 11. 5. 1552 amtierende Pfarrer von Hermannstadt Paul Wiener. M. meint offenbar die im März 1547 erfolgte Wahl des Pfarrers von Hermannstadt Bartholomäus Altenberger. Damals wurden auch die »Kirchenordnung aller Deutschen in Siebenbürgen« und eine gemeinsame Agende ausgearbeitet. Anscheinend gab es Bestrebungen, dem Pfarrer von Hermannstadt bischöfliche Befugnisse zu übertragen, und M.s Gewährsleute haben ihm dies auf eine Weise mitgeteilt, daß er den Wunsch für die Wirklichkeit nahm.
Nachtrag:
Statt Bucer scheint Oswald Myconius der Adressat zu sein, weil beide Überlieferungen auf ihn zurückgehen. Auf dem eigenhändigen, 1548 datierten Brief Bucers [an ihn] befindet sich eine Teilabschrift von seiner Hand. In seinem Brief vom 20. 1. 1548 an Bullinger zitiert Myconius M.s Schreiben ausführlich, bezeichnet es allerdings nicht als an ihn gerichteten Brief, sondern sagt lediglich: „De novo bello Saxonico scribit D. Philippus his verbis“. Nun schreibt aber Bucer in einem undatierten Brief an Franciscus Dryander, er lege einen Brief M.s an ihn (Bucer) bei sowie ein Blatt aus einem Brief aus Augsburg vom 27. Dezember, das er ,gestern' erhalten habe: Enzinas-BW 342-346 Nr. 38k. Dieses Blatt vom 27. Dezember 1547 liegt, von anderer Hand geschrieben, noch bei Bucers Brief an Dryander im Straßburger Stadtarchiv, abgedruckt Enzinas-BW 344. Es stimmt wörtlich mit dem überein, was Myconius am 20. 1. 1548 an Bullinger schickte. Bucer schrieb, Dryander solle Myconius die Beilagen lesen lassen, denn er habe keine Zeit, dasselbe zweimal zu schreiben. Diese Bemerkung steht auch in Bucers ohne Adresse überliefertem Brief, der aber, wie man Bucers Schreiben an Dryander entnehmen kann, mit Sicherheit an Myconius ging. Der Sachverhalt war also folgender: Bucer schickte eine Abschrift von M.s Brief an Dryander, der sie zur Lektüre an Myconius weitergab. Dieser las nicht nur, sondern schrieb sich den Text auf seinen Brief Bucers. Dann machte er am 20. 1. 1548 Bullinger davon Mitteilung, desgleichen von dem via Bucer erhaltenen Brief aus Augsburg. Der Umweg über Straßburg erklärt, warum Bullinger erst so spät über M.s Brief informiert wurde. - Datum: Mitte Dezember 1547 bleibt weiterhin wahrscheinlich. Der 4994 (jetzt 4999a) erwähnte Bote nahm die Briefe vom 22. mit. Doch auch am 12. Dezember gingen zahlreiche Briefe von Wittenberg in südlicher Richtung ab (4987-4991), darunter einer nach Basel: Enzinas-BW 334f Nr. 38g (Brumae fälschlich mit 24. statt 12. Dezember aufgelöst). 4995 = 4988a war gewiß dabei. - § 2 am Ende: Kolocsa ist Kalocsa.

Normdaten
Personen:

Barnim XI. von Pommern: http://d-nb.info/gnd/10099721X

Bucer, Martin: http://d-nb.info/gnd/118516507

Bullinger, Heinrich: http://d-nb.info/gnd/118517384

Dryander, Franciscus: http://d-nb.info/gnd/118682156

Ferdinand: http://d-nb.info/gnd/118532502

Honterus, Johannes: http://d-nb.info/gnd/118553445

Melanchthon: http://d-nb.info/gnd/118580485

Moritz von Sachsen: http://d-nb.info/gnd/118584138

Myconius, Oswald: http://d-nb.info/gnd/118735462

Philipp I. von Pommern: http://d-nb.info/gnd/102324212