Andreas Osiander an M. [in Wittenberg]. - [Nürnberg, 2. Hälfte Februar 1536]

O. beantwortet M.s Fragen nach der rabbinischen Auslegung:

[1] Ob das Verbot Lev 18, 16, die Frau des Bruders zu heiraten, nur bei Lebzeiten des Bruders gilt? Nein; alle Juden beziehen den verstorbenen Bruder mit ein. O. zitiert Maimonides, [Mischne Tora] 5,2.

[2] Ob das Gebot Dtn 25, 5, die Frau des Bruders zu heiraten, wenn dieser kinderlos gestorben ist, hierzu die Ausnahme bildet? Es ist nur eine engumgrenzte Dispensation, kein Gebot, zumal es die Wahl zwischen Ehe und Chaliza läßt. Zudem ist nach den Kabbalisten die Leviratsehe den Nichtjuden überhaupt verboten.

[3] Ob Dtn [25, 5] der leibliche Bruder gemeint ist?

[3.1] O. bejaht dies und zitiert aus dem Talmud, wo das Verbot der Schwagerehe verschärft wird.

[3.2] Nicht nur die Talmudisten, sondern auch die sachliche und sprachliche Untersuchung der Bibelstellen lassen keine andere Deutung zu.

[4] Die jüdische Auslegung ist in diesem Fall einhellig.

[5] Daß die [Wittenberger] im Gegensatz zu den Engländern das Verbot Lev 18, 16 für dispensierbar halten [⇨ 1716], veranlaßt O. zu der Mahnung, nicht um des Kg. [Heinrich VIII. von England], sondern um der ganzen Kirche willen die weitreichenden Konsequenzen zu bedenken. Doch will O. das Gutachten [1180?], an dem er selbst beteiligt war, nicht tadeln.

Fundort:
Abschrift [von Johannes Bugenhagen]: Berlin SB SPK, Ms. theol. lat. oct. 41, f. 108r-112r; Auszüge: O. Vogt: ThStKr 58 (1885), 732-735. ‒ MBW.T 7.
Datierung:
Datum: Zwischen 1695.4 und 1707.2 abzüglich Beförderungszeiten.
Nachtrag:
Fundorte: Osiander-GA 6 (1985), 152-157 Nr. 220.

Normdaten
Personen:

Heinrich VIII. von England: http://d-nb.info/gnd/118548204

Maimonides: http://d-nb.info/gnd/118576488

Melanchthon: http://d-nb.info/gnd/118580485

Osiander, Andreas: http://d-nb.info/gnd/118590375