Michael Neander an M. [in Wittenberg]. - Ilfeld, 1. August [1558]

[1] N. hat M.s Brief bisher nicht beantwortet und auch nichts über die Ilfelder Klosterschule geschrieben, um deren Unterstützung durch seine Autorität M. oft gebeten wurde, weil die Grafen [Günther XLI., Johann Günther, Wilhelm und Albrecht VII.] von Schwarzburg sowie [Ludwig, Heinrich, Albrecht und Christoph] von Stolberg, deren Zustimmung [zur Erhaltung der Schule] erlangt werden muß, zerstritten und meistens abwesend sind. N. befürchtet, daß der alte Abt [Thomas Stange] vor der angestrebten Vereinbarung sterben wird.

[2] Die Stolberger wollen entgegen ihren Versprechungen noch zu Lebzeiten des so mildtätigen wie ökonomischen Abtes die Klostergüter in ihren Besitz bringen. Das benachbarte Vorwerk wurde in diesem Jahr schon zweimal geplündert, Bauern und ein Kind entführt, die freigekauft werden mußten. Dieser Tage entkam N. nur mit Hilfe einer Frau, vielmehr eines Engels, einem Angriff.

[3] Der Abt läßt M. danken für die Billigung seiner Pläne und die beabsichtigte Fürsprache bei den Herren [⇨ 8696.2]. Doch möchte er sein Leben arm zu Ende bringen und deren Verhalten nach seinem Tod Gott anheimstellen.

[4] N. dankt M. auch im Namen der Schüler und des Abtes für seine Anerkennung der Ilfelder Schularbeit. Er schickt eine Auswahl aus Pindar, Lykophron und Theokrit mit seiner lateinischen Übersetzung und griechisch-lateinischen Einleitungen, die er auf Anraten des [Johannes] Oporinus und anderer vor zwei Jahren angefertigt hat.

[5] N. beklagt die Verachtung der Literatur durch die jüngeren Theologen, die zu seiner Vereinsamung führte. Sein einziger Gesinnungsfreund im Harz ist [Andreas] Fabricius, [Rektor in Nordhausen]. Doch auch er wandte sich der Theologie zu und hielt dieser Tage in Nordhausen einige Predigten.

Fundort:
Ausfertigung: Wolfenbüttel HAB, ehemals Landeshut, Ms. II, f. 464r-465v.
Datierung:
Jahr: Der Ilfelder Abt, der § 1 und § 4 noch lebend vorausgesetzt wird, starb am 1. 4. 1559; vgl. Michael Neander's Bericht vom Kloster Ilfeld, hrsg. v. R. Bouterwek (Schulprogramm Ilfeld 1873), 8. Die in § 2 geschilderten Übergriffe erwähnt N. in diesem Bericht nicht; sie verblaßten wohl gegenüber dem, was N. nach dem Tod des Abtes zu bewältigen hatte, bis er 1562 eine Bestandsgarantie erreichte (Bouterwek 45-47). N.s Lykophron-Edition war 1561 noch nicht erschienen; vgl. F. Meister: Neue Jahrbücher für Philologie und Pädagogik 124 (1881), 232. Sie erschien u. W. nie, denn Oporin brachte 1558 eine andere Lykophron-Ausgabe heraus (VD 16, L 7726). Dem § 4 läßt sich für die Datierung also nur entnehmen, daß M.s Brief vom 15. August (8696) die Antwort auf 8676 ist. Da M. am 15. 8. 1557 unterwegs nach Worms war (⇨ 8308), scheidet dieses Jahr für 8696 und damit auch 8676 aus. Hilfreicher für die Datierung ist § 5: Andreas Fabricius, der fünf Jahre jünger als N. war, wurde am 5. 4. 1554 Rektor in Nordhausen; vgl. H. Peter (wie bei 8240), S. 2. Im gleichen Jahr erwarb er wie N. am 31. Juli den Magistergrad, er an erster, N. an dritter Stelle (Köstlin 1891, S. 14). Im April 1560 wurde er Diaconus und ordiniert. 1564 übernahm er ein Pfarramt in Nordhausen und legte das Rektorat nieder (Peter l. c.). Aus dem Brief des Georg Fabricius an seinen Bruder Andreas vom 17. 10. 1557 erfahren wir, daß N. predigte, was Georg wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung der Schularbeit mißbilligt. Wenn auch Andreas damals schon gepredigt hätte, wäre dies gewiß erwähnt worden, zumal Georg den Bruder für sein Lutherstudium lobt: Peter, Teil II (Schulprogramm Meißen 1892), 5f Nr. 56. Andreas hat also 1557 begonnen, sich mit Theologie eingehender zu befassen, und demnach vorher nicht gepredigt. Dies ist ein sicheres Indiz, daß 8676 1558 geschrieben wurde. Die Todesanzeige des Rektors Gf. Adolf von Nassau für den Studenten Günther Crato aus Sangerhausen vom 7. 9. 1558: Scripta publica 3, Bl. 223b-224a (vgl. CR 8, 822 Anm. *), die wahrscheinlich von M. verfaßt wurde, ist mit ihrem Lob der Klosterschule Ilfeld und N.s offenbar durch 8676 inspiriert.

Normdaten
Personen:

Fabricius, Andreas: http://d-nb.info/gnd/11636968X

Fabricius, Georg: http://d-nb.info/gnd/118531735

Lykophron: http://d-nb.info/gnd/118780883

Melanchthon: http://d-nb.info/gnd/118580485

Nassau-Dillenburg, Adolf von: http://d-nb.info/gnd/138719500

Neander, Michael: http://d-nb.info/gnd/116901675

Oporinus, Johannes: http://d-nb.info/gnd/118736396

Pindar: http://d-nb.info/gnd/118594427

Schwarzburg, Albrecht VII. von: http://d-nb.info/gnd/121435601

Schwarzburg, Günther XLI. von: http://d-nb.info/gnd/101421745

Schwarzburg, Johann Günther von: http://d-nb.info/gnd/104351632

Schwarzburg, Wilhelm von: http://d-nb.info/gnd/120038315

Stange, Thomas: http://d-nb.info/gnd/1147624186

Stolberg, Christoph von: http://d-nb.info/gnd/115714634

Stolberg, Heinrich von: http://d-nb.info/gnd/131498983

Stolberg, Ludwig von: http://d-nb.info/gnd/117267899

Theokrit: http://d-nb.info/gnd/118621769