M. [an den Leser]. Vorrede zu: Caspar Cantagiser, Disputatio de matrimonio contra legem pontificiam de coelibatu. Wittenberg, Veit Kreutzer, 1546. - [Wittenberg, ca. 18. März 1546]

[1] Anlaß der Publikation dieser Disputation [CR 12, 534-539] ist der Widerstand einiger [Professoren] der Universität Erfurt gegen die Verleihung des Magistergrads an [Paul Stromer], nur weil er der Sohn eines evangelischen Priesters ist. Allerdings erweckte dies auch in Erfurt Kritik, so daß damals die Promotion überhaupt nicht stattfand.

[2] Der Trost der [reformatorischen] Gemeinden. Hoffnung, daß Fürsten in dieser überwiegend evangelischen Gegend die [katholische Reaktion] unterbinden.

Fundort:
CR 6, 97f Nr. 3431 mit 7, 1179; CR 12, 532-534. ‒ MBW.T 15.
Datierung:
Datum: Die Disputation sollte laut Angabe des Druckes am 16. März 1546 im Erfurter Sachsenkolleg stattfinden. Die verschiedenen Quellen über diese Publikation und ihre Erfurter Vorgeschichte sind nicht leicht in Einklang zu bringen. Der Eintrag in den Acta decanorum facultatis artium im Domarchiv Erfurt, Marienstift XIV, WS 1545, f. 254, wird von E. Kleineidam, Universitas Studii Erffordensis 3 (1980), 64 als einzige Quelle zitiert, jedoch nicht exakt wiedergegeben (möglicherweise liegen seiner Darstellung noch andere Informationen zugrunde). Einige Briefzeugnisse wurden schon von O. Clemen: ARG 38 (1941), 34-54; 39 (1942), 151-169 [H 3502 a; 3508] ediert und 39, 166-169 ausgewertet. Aus den ‚Acta‛ erfahren wir den Namen des Zurückgewiesenen; es war Paul Stromer, der Sohn eines Priesters in Bischleben (heute Stadtteil von Erfurt). Der Respondent der Disputation des 16. März Josef Kirchner (⇨ 4339), Sohn des Priesters Sigismund Kirchner, war also nicht selbst der Betroffene. Am 15. Januar 1546 morgens 7 Uhr nahm der Magister Johannes Algesheim als Vertreter des Vizekanzlers Martin von der Marthen in Gegenwart des Dekans der Artistenfakultät Hugold Strecker die Meldung von zehn Bakkalaren zur Magisterprüfung entgegen. Nur Paul Stromer wurde von Algesheim zurückgewiesen, weil er Priestersohn war. Dann folgt in den ‚Acta‛ ohne Datum: „Senatus Erfurtensis petiit a facultate artium, ne promotionem pro nunc habere vellent propter ingentia quaedam, quae toti civitati et universitati, omnibus civibus atque examinatoribus imminere possent.“ Dies ist eine massive Drohung (anders Kleineidam l. c.). Der nächste datierte Eintrag in den ‚Acta‛ ist vom 14. April: Der Antrag des Magisters Nikolaus Kraut, ins ‚consilium‛ der philosophischen Fakultät aufgenommen zu werden, wurde abgelehnt. Davor ist protokolliert, daß Caspar Cantagiser und Nikolaus Kraut Beschwerde erhoben haben, weil sie nicht zum Promotionsakt und zum Festessen der 17 Magister zugelassen worden waren. Die zunächst verschobene Promotion hat also vor dem 14. April doch noch stattgefunden. (Die Zahl der 17 Magister könnten die 10 neuen und die Professoren der Fakultät sein.) Während M. in keinem seiner erhaltenen Briefe diese Erfurter Vorgänge erwähnt, werden sie in den von Clemen edierten Briefen „aus dem Lebenskreise des Erfurter Reformators Johannes Lang“ mehrfach erörtert. Am 22. Februar schreibt Dr. jur. Johannes Modestin Kitzing, der später in diesem Jahr als Gesandter des Hz. Moritz von Sachsen an die Stadt Erfurt bezeugt ist (Pol. Korr. Moritz 2. s. v.), aus Leipzig an Lang, er habe neulich den Erfurter Rat aufgefordert, die Schmähungen der Priesterehen kraft obrigkeitlichen Amtes zu unterbinden, wobei er den Fall des zurückgewiesenen Magister-Kandidaten ausdrücklich erwähnt (ARG 39, 160f Nr. 410). Es muß offen bleiben, ob der in den ‚Acta‛ protokollierte Protest des Stadtrats dadurch veranlaßt wurde. Franz Burchard in Weimar unterrichtete den Kf. Johann Friedrich, dessen Reaktion ihm die Hoffnung auf eine Vertreibung der päpstlichen Priester aus Erfurt bei passender Gelegenheit gab (vgl. das Ende von M.s Vorrede und Jonas MBW 4225 sowie die Vorgänge in Halle 1547: Kawerau, Jonas-BW 2, XLIXff und 207ff). Was Burchard für Paul Stromer konkret unternommen hat, steht in dem von diesem überbrachten Brief an Lang vom 18. März leider nicht (ARG 39, 162f Nr. 413). Tags zuvor hatte Cantagiser in seinem Sachsenkolleg die Disputation über die Priesterehe abgehalten, deren Thesen M. mit seiner Vorrede drucken ließ. Da in diesem Wittenberger Druck auf das Datum des 17. März im Futur hingewiesen wird (CR 12, 532), möchte man annehmen, daß er davor erschienen ist. Dem widerspricht aber der Brief des Johannes Marcellus an Lang vom 19. März (ARG 38, 37f Nr. 249). Er dankt für eine von Lang übersandte Disputation gegen die Erfurter Feinde der Ehe, teilt mit, daß er Langs Thesen auch M. gegeben habe, der sich noch äußern werde, und läßt Cantagiser grüßen. Daß außer Cantagisers Disputation vom 17. März noch ähnliche Thesen Langs existiert haben sollten, ist ganz unwahrscheinlich. Vielmehr betrachtet Marcellus Lang als den Verfasser. Von einem Wittenberger Druck weiß er am 19. März noch nichts. „Disputationes“ Langs gegen die „Sophisten“, in denen ein brennendes Thema endlich angepackt wurde, fanden aber am 27. März in Weimar reißenden Absatz und wurden sogar schon südlich des Thüringer Waldes verbreitet (Antonius Varus, Lehrer an der Weimarer Lateinschule, an Lang: ARG 38, 52f Nr. 362). Wenn es sich dabei um diesen Wittenberger Druck handelt (und ein anderer ist nicht bekannt), so hat Lang die Thesen mit der Ankündigung des Disputationstermins 17. März kurz davor handschriftlich an Marcellus geschickt, der sie M. gab und sich am 18. bedankte, ohne von einem auch nur geplanten Druck zu wissen. M. hat diese Thesen unverzüglich, vielleicht sogar noch bevor Marcellus an Lang schrieb, mit einem Vorwort versehen und drucken lassen, so daß sie schon am 27. März in Weimar verkauft wurden. Das „Celebrabitur ...“ der handschriftlichen Vorlage blieb dabei unverändert. Bei der Abfassung seiner Vorrede wußte M. von dem Protest des Erfurter Rats, nicht jedoch von der später erfolgten Promotion. Erstaunlich spät erfuhr Camerarius in Leipzig von den Erfurter Vorgängen, die er erst am 16. April erwähnt (ARG 38, 35f Nr. 242). M. hat ihm davon nichts geschrieben.
Nachtrag:
Datierungsbegründung: Laut brieflicher Mitteilung von E. Kleineidam vom 30. 11. 1983 wurden nicht 17 Magister, sondern 17 Baccalare um den 11. März 1546 promoviert. Damit entfällt die Erwägung über die Zusammensetzung dieser 17, ohne daß jedoch die Datierung umgestoßen wird.

Normdaten
Personen:

Burchard, Franz: http://d-nb.info/gnd/117160997

Camerarius, Joachim: http://d-nb.info/gnd/118518569

Cantagiser, Caspar: http://d-nb.info/gnd/119725819

Johann Friedrich d. Ä. von Sachsen: http://d-nb.info/gnd/118712373

Jonas, Justus: http://d-nb.info/gnd/118712926

Kirchner, Josef: http://d-nb.info/gnd/1141102315

Kirchner, Sigismund: http://d-nb.info/gnd/115677194

Kitzing, Johannes Modestin: http://d-nb.info/gnd/131588540

Kreutzer, Veit: http://d-nb.info/gnd/130465003

Lang, Johannes: http://d-nb.info/gnd/122265505

Marcellus, Johannes: http://d-nb.info/gnd/124397093

Melanchthon: http://d-nb.info/gnd/118580485

Moritz von Sachsen: http://d-nb.info/gnd/118584138