M. an den Rat der Stadt [Soest]. Bonn, Laurentius von der Mülen, 1543. Offener Brief. Dt. - Bonn, 15. Juni 1543

[1.0] M. wurde mehrfach von den [Soester] Predigern ersucht, den Rat zur Gründung einer Schule aufzufordern. Er tat dies bisher nicht, weil

[1.1] der Rat diese Notwendigkeit selbst kennt,

[1.2] aber nur über wenige Kirchengüter verfügen kann,

[1.3] weil der [geldrische Erbfolge]krieg ausgebrochen ist,

[1.4] und weil M. innere Widerstände befürchtet.

[1.5] Er bittet nun um freundliche Aufnahme seines Schreibens.

[2.1] Zur Religion gehört Bildung, weil die Offenbarung in einem Buch niedergelegt ist. Die Kirche hat im Gegensatz zum Heidentum dadurch auch Geschichtsbewußtsein, und es gab bei ihr immer Schulen. Gott erhält die Bibel und zu diesem Zweck die Regimente. Die Verachtung der Bibel bei Regenten und Priestern hat deren Niedergang und Ende zur Folge; wer aber die Schulen schützt, genießt Gottes Schutz (Kyros, Konstantin, Theodosius, Karl d. Gr.; Ptolemaios Philadelphos).

[2.2] Hauptaufgabe der weltlichen Regierung ist die Erhaltung des Friedens, in dem Gotteserkenntnis und Erziehung der Jugend gedeihen.

[2.3] Die Väter können ihre Pflicht zur Unterweisung der Jugend nur mit Hilfe von Lehrern voll erfüllen, die von der Obrigkeit anzustellen sind.

[2.4] Aus diesen Gründen soll der Rat eine Lateinschule eröffnen — einer der höchsten Gottesdienste, dessen Versäumnis im Jüngsten Gericht von den aus Mangel an Bildung Verlorenen angeklagt werden wird.

[2.5] Die Versammlung der Kinder in einer christlichen Schule ist ein Teil der wahren Kirche Gottes.

[2.6] Die Wissenschaften dienen aber nicht nur dem Schriftverständnis, sondern auch dem irdischen Leben, insbesondere Jurisprudenz, Geschichte, Geographie, Arithmetik, Geometrie, Kalenderkunde und Sprachen.

[2.7] Die Schulgründung wird Gottes Lohn und der Nachkommen Dank ernten.

[3.1] Die Finanzierung sollte eigentlich über Stiftspfründen erfolgen, auch gegen den Willen der Kanoniker durch den Landesherrn. Wenn dies nicht möglich ist, soll die Stadt die Mittel aufbringen, wie es in Süddeutschland oft geschieht.

[3.2] M. bezeichnet den Reichtum untätiger Kleriker als Unrecht, das abgeschafft werden wird, vergleicht sie mit Kaiser Julian und seinem Schulverbot

[3.3] und stellt dagegen die Mahnung des Paulus an Titus [3, 14] zur Ausbildung von Christen für weltliche Berufe.

[4] Deutung weiterer Bibelstellen.

[4.1] Mt 13, 52 über den Schriftgelehrten

[4.2] und die Bibel mit dem Trost der Geschichte.

[4.3] 1 Tim 4, 13 über das Predigen.

[4.4] 2 Petr 1, 19 und Röm 15, 4 gegen den Spiritualismus der Wiedertäufer.

[5.1] Die Vernachlässigung der Schulen bedeutet Verachtung von Gottes Schöpfung und Heilswerk.

[5.2] Zu den Gaben Eph [4, 8-14], die gewisse Lehre verbürgen, gehören die Bibel und damit Schulen.

[5.3] Ausgaben für Schulen werden belohnt, ihre Verweigerung bestraft.

[5.4] Der Rat soll also eine Lateinschule gründen.

Fundort:
CR 5, 125-137 Nr. 2719. ‒ MBW.T 12.
Datierung:
Datum: Beilage zu 3266. Das Datum der Abfassung in dem Bonner Erstdruck und in dem Augsburger Nachdruck von Melchior Kriegstein, vgl. die Nachbildung bei A. Israel, Sammlung selten gewordener pädagogischer Schriften des 16. und 17. Jahrhunderts 9 (1881).

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